Vor gut 2 Jahren habe ich zum ersten Mal von meiner Hündin Sina berichtet. In diesem ersten Blog ging es darum, wie meine Hündin ist, was sie ausmacht und welch seltsames Verhalten sie an den Tag legt. Seither hat sich viel verändert…. Ja, das möchte ich jetzt gerne schreiben, ist aber nicht so.
Sina erschreckt sich immer noch, wenn jemand laut redet, lacht, gestikuliert oder auf den Tisch klopft, wenn dicke Luft herrscht, wenn sich Leute auf dem weit entfernten Fussballplatz etwas zurufen und ganz sicher wenn es irgendwo knallt oder gewittert. Gewitter spürt sie sowieso schon Stunden vorher. Und es reicht, ein Fenster zu öffnen oder den Wäscheständer hervorzuholen, um sie in die Flucht zu schlagen.
Es gibt immer noch Tage, an denen will Sina gar nicht raus für einen Spaziergang. Dann kommt sie nur zögernd bis vor die Tür, verrichtet ihr Geschäft und will danach sofort wieder ins Haus. Manchmal versuche ich sie dann doch noch zu überzeugen mitzugehen. Dies endet entweder mit einem Erfolg, oder sie weigert sich weiterhin standhaft, oder sie fängt an zu zittern (den Grund für das Zittern kann ich nie ausmachen). Auch wenn sie sich schliesslich mit uns auf den Weg begibt kann es sein, dass sie unterwegs irgendwo abkürzen und wieder nach Hause will. Manchmal begleitet sie uns auch auf einer richtig grossen Runde. Das weiss ich aber nie im Voraus und es gibt bei ihr keine Anzeichen dafür, wie lang der Spaziergang ausfallen wird.
Es ist schon nicht einfach, wenn man sich so auf seinen Hund einstellen muss. Manchmal habe ich fast schon ein schlechtes Gewissen Luis gegenüber, weil der immer gerne die längere Runde gehen will, und wir dann ihretwegen umkehren müssen. Eine Zeit lang bin ich mit beiden einzeln gegangen. Das war auf Dauer aber zu stressig, weil es einfach so viel Zeit kostet.
Dieses Frühjahr habe ich den Fehler gemacht, Sina auf ein Military mitzunehmen. Eine Nachbarin hat mich eingeladen mitzukommen, weil ich ihr mal erzählt hatte, dass Sina so gerne Aufgaben löst. Wir gingen ohne Erwartungen hin, auch mit der Option mittendrin abzubrechen, wenn es Sina zu viel werden würde. Wir haben’s fast bis zum Schluss geschafft, doch dann ging plötzlich gar nichts mehr. Ich nahm mit ihr eine Auszeit und setzte mich irgendwo fernab des Trubels mit ihr hin um zu entspannen. Nach diesem Anlass war sie für Wochen - ich habe mindestens 10 gezählt - völlig ausser Gefecht gesetzt.
Dass sie nach diesem Tag erst mal viel schlafen würde war mir klar. Sie hat sich dann aber auch völlig in ihre Welt zurückgezogen, kam nicht mal mehr, um uns am Morgen zu begrüssen, nahm nicht mehr am gemeinsamen Leben Teil, Streicheleinheiten holen, mit Luis spielen, all das machte sie überhaupt nicht mehr. Und während mehrerer Wochen kam sie auch nie auf einen Spaziergang mit.
Ich fing dann irgendwann an, mit ihr drinnen Suchspiele zu machen. Das klappte einigermassen, aber sie behielt ihren traurigen Blick. Die Leute rieten mir immer, dass ich sie daheimlassen soll, wenn sie nicht auf die Spazierrunde mit will, das sei nicht so schlimm. Ja, das ist wohl so. Schlimm war aber zu sehen, wie sie in ihre eigene Welt abtauchte und nicht mehr zu unserer gemeinsamen zurückfand.
Es war nicht das erste Mal, dass dies geschah und so suchten wir wieder einmal die Hilfe einer Tierkommunikatorin, die auch energetisch mit Tieren arbeitet. Man kann davon halten was man will, bei uns hat es immer geholfen. Schon ihr ganzes Leben lang war Sinas Daseinsberechtigung ein Thema. Als sie mit erst knapp 7 Monaten zu uns kam, hatte sie schon mit dem Leben abgeschlossen. Es ging schon damals um Selbstliebe, Selbstvertrauen und Lebensfreude. Die Themen sind die gleichen geblieben und müssen alle paar Jahre wieder bearbeitet werden. Ich kaufte mir ausserdem zwei Bücher zum Thema Deprivationshunde und kann Sinas Verhalten seitdem besser verstehen. Die Tipps zum Umgang und zum Training mit solchen Hunden sind sehr nützlich, lösen aber trotzdem nicht alle ihre Knoten.
Sina ist ausserdem hochsensibel, das weiss ich heute. Letztes Wochenende war ich an einem Seminar zu diesem Thema und habe weiter dazugelernt. Nun stellt sich die Frage, was man mit all dem Wissen macht. Der Hund lässt sich nicht ändern, das ist klar und vieles, was in der Welpenzeit verpasst wurde, kann auch nicht mehr aufgeholt werden. Es hilft aber sehr dabei, solche Hunde besser zu verstehen. Was ich feststelle ist, dass die Verbindung zu so einem Hund eine ganz besondere ist. Vielleicht liegt das daran, dass sowohl der Hund als auch der Mensch sich in einer solchen Beziehung viel miteinander auseinandersetzen und aufeinander einlassen müssen. Dies ist die Bedingung, damit so ein Team überhaupt funktionieren kann. Jedenfalls ist meine Liebe zu Sina riesengross, auch wenn manchmal meine Verzweiflung ebenso gross war.
Zum positiven Abschluss dieses Artikels kann ich noch berichten, dass Sina wieder ganz aus sich herausgekommen ist, enorm viel Lebensfreude dazugewonnen hat und manchmal auch richtig aufsässig sein kann ;-). Aber ehrlich, mir ist sie so lieber als die stille, unsichtbare und energielose Gestalt, die über mehrere Wochen in unseren vier Wänden hauste.
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Yvonne Grossenbacher (Sonntag, 04 Juli 2021 23:23)
Und wie ist das Leben mit Sina heute? Hat sich in den letzten 2 einhalb Jahren noch etwas verändert?
Monika / HundeZauber (Mittwoch, 07 Juli 2021 10:14)
Ja, es hat sich noch viel verändert. Vor allem verstehe ich es heute besser, es ist Trauma. Sie fiel immer wieder in ihre alten Muster zurück, Apathie, unendlich viel schlafen, kaum Interaktionen mit uns oder Luis, Tunnelblick. Das alles gehört zu Trauma, wie auch ihre autistischen Züge.
Mit der Trust Technique hatten wir die ersten grossen Erfolge. Ich konnte sie aus ihrer Selbstisolation holen, und wir sind viel besser in Kontakt. Sie fragt nach Futter und Streicheleinheiten, ist anhänglicher geworden, erkundet neugierig den Gang und die Küche, in der sie zuvor noch nie gewesen ist. Sie begrüsst Besucher freundlich an der Tür, wo man vorher gar nicht merkte, dass da noch ein anderer Hund mit uns lebt. Statt den ganzen Tag alleine in meinem Büro zu liegen und zu schlafen, geniesst sie jetzt unsere Gesellschaft im Wohnzimmer (meistens).
Mit der Trust Technique konnte ich auch ihr Gedankenkino reduzieren, und sie ist seitdem ansprechbar, wenn wir vor die Tür gehen. Entgegen der Meinung vieler, leben Tiere (die mit dem Menschen zusammenleben) nicht im Hier und Jetzt, sondern haben genauso ihre Sorgen und Ängste wie wir.
Sina ist weit davon entfernt, ein "normaler" Hund zu sein, aber ihre Lebensqualität hat sich um 150% verbessert. Man sieht es an ihrem offenen Blick und an ihrer ganzen Ausstrahlung.
Ursi (Dienstag, 05 September 2023 18:46)
So schön, dass sie doch noch am Leben teilhaben kann. Habt ihr gut gemacht �